
Wie ein US-Airforce-Soldat vor 80 Jahren in Vorchdorf eine Pistole von einem deutschen Arzt erhielt
Ein spannendes Stück Vorchdorfer Zeitgeschichte arbeitet gerade der Heimatforscher Rudolf Hüttner auf. Konkret geht es um die dramatischen Tage rund um den 5. Mai 1945, als die 80. Infanteriedivision der 3. US-Armee in Vorchdorf ankam und in unseren Breiten das Ende des Zweiten Weltkrieges markierte.
Vorchdorf im Mai 1945. Das Schulgebäude war gerade erst 4 Jahre jung, als es im Sommer zuvor zum Luftwaffenlazarett umfunktioniert wurde. Die Schüler fanden in umliegenden Gebäuden Unterschlupf, in den früheren Klassenräumen wurden heimische wie alliierte Verwundete gepflegt. Einer von ihnen war Sgt. Reece Stephenson, der schwerverletzt nach dem Flugzeug-Abschuss über dem Gebiet rund um Neukirchen bei Altmünster nach Vorchdorf verlegt wurde. Eines vorab, Stephenson hat das Kriegsende überlebt. Er ist in die USA zurückgekehrt, hat dort eine Familie gegründet und ein erfülltes Leben verbracht.
80 Jahre später meldete sich der Sohn des US-Sergeanten via E-Mail beim Roten Kreuz. Mit im Anhang schickte er einzigartige Fotos aus Vorchdorf und das Bild einer Pistole, die der damalige US-Soldat von einem deutschen Arzt zum Selbstschutz bekommen hatte. Die E-Mail ging über Dr. Christoph Hohn zum Heimatforscher Rudolf Hüttner, der seither ein transatlantisches zeitgeschichtliches Puzzlestück zusammensetzt.
Turbulente Szenen 4. / 5. Mai 1945
Die letzten Kriegstage im Mai 1945 waren auch in Vorchdorf brandgefährlich und turbulent, vor allem für Kriegsgefangene, Lazarettpatienten und alle, die sich der SS widersetzten. Im Ort war die Waffen-SS der Division „Prinz Eugen“ stationiert und Panzersperren installiert. Fast die ganze Nacht von 4. auf 5. Mai wurde heftig über die Verteidigung des Ortes diskutiert. Es ist dem Mut des damaligen „Volkssturm-Ortskommandanten“ Lexl zu verdanken, dass in der Früh zum Samstag, 5. Mai, die Panzersperren in Mühltal und zwischen dem ehemaligen Altersheim und dem Schulgebäude abgebaut wurden. Nach diesem „Alleingang“ wurden er und andere Gefolgsleute von der Waffen-SS verhaftet und durch den Ort getrieben. Es kam im Gemenge zu Schüssen und zu hektischen Szenen. Doch die herannahenden Panzer der Alliierten bewegten die Waffen-SS im letzten Moment zum Abzug in Richtung Pettenbach. Vorchdorf war frei, um 10 Uhr Vormittag.
Spannende Zeitgeschichte beschäftigt Nachfahren
Diese sehr turbulenten Ereignisse lassen sich im Heimatbuch aus 1959 nachlesen und spiegeln sich in den Erinnerungen des amerikanischen Sergeanten wider. Er lag schwerverletzt im Larazett in der Vorchdorfer Schule. Ein Arzt hatte ihm – wahrscheinlich ebenso rund um den 5. Mai 1945 – seine Pistole überlassen, damit sich der Amerikaner gegen die Waffen-SS verteidigen könne. Gott sei Dank kam es nie zu dieser brenzligen Situation. Reece kehrte in die Staaten zurück und nahm als Erinnerungsstück die Pistole der Marke Mauser, Cal. 7,65 mit. Diese ist dort noch gut in Familienbesitz erhalten.

Im Lederholster ist der Name des Oberarztes aus 1945 noch einigermaßen erkennbar. Nach den Recherchen von Rudolf Hüttner dürfte es sich um den Wiener Arzt Dr. Adolf Wicke handeln. Aus dem Nachlass Stephensons erreichten Hüttner noch weitere interessante Dokumente. Darunter ein Brief, den ein anderer Arzt nach dem Krieg in die USA schickte. Er bezieht sich auf die Zeit in Vorchdorf. Der Dresdner Doktor erkundigt sich über das Befinden von Stephenson und wie es „seinen Knochen“ gehe. Fast freundschaftlich berichtet er darüber, wohin es die Ärztekollegen nach dem Krieg verschlagen hatte. Der Brief lässt den Schluss zu, dass im Lazarett eine sehr gute Stimmung herrschte, so Rudolf Hüttner.

Die einzigartigen Briefe und Fotos aus Übersee fügt Hüttner momentan zu einem zeitgeschichtlichen Dokument zusammen, das er danach der Öffentlichkeit präsentiert möchte. Sie ergänzen die Ergebnisse der Nachforschungen in Büchern und Archiven sowie der Aussagen von Vorchdorfer Zeitzeugen über die Ereignisse rund um das Kriegsende und das Lazarett.
Foto (vorchdorfmedia): Rudolf Hüttner vor dem Eingang zur Vorchdorfer Schule, wo 1945 ein Luftwaffenlazarett untergebracht war.
Foto aus 1944 vor der Vorchdorfer Schule im Winter: fotografiert vom US-Soldaten Reece Stephenson, der damals mit seinen Flugzeugkameraden abgeschossen wurde. Das Bild und eine unglaubliche Geschichte dazu kam nun von seinen Nachfahren aus den USA per E-Mail.